Flucht

Habt ihr euch eigentlich schon einmal Gedanken darüber gemacht wie lange man es schafft alleine im Wald zu sein?

Diese Frage kam mir schon früher auf meinem Hochsitz in den Sinn, wenn ich den Blick in die Ferne habe schweifen lassen. Durch mein Fernglas konnte ich Hasen, Rotwild und Vögel beobachten, während ich mit meinen Gedanken alleine war. Für viele von uns ist es oft unerträglich mit eben jenen alleine zu sein und manch einer scheut sich regelrecht davor. Der Wind streift durch die Bäume, weht den Geruch von frisch gemähtem Gras herüber und der Sonnenschein wärmt dich. Schließ' doch mal für einen Moment deine Augen und versuche an nichts zu denken. Im Moment zu Leben.


Ich hätte nie erwartet dass es uns an der Mosel treffen würde. So kann man sich täuschen, was? Es dauerte eine Weile bis es bis zu uns vordrang, und verbreitete sich in rasender Geschwindigkeit. Wie ein Lauffeuer, welches durch den Wind nur noch weiter entfacht wird und welchem niemand Herr werden kann. Als es passierte war ich gerade im Hof eine plane am zusammenlegen und meine Frau hatte das Auto zu ihrer Mutter mitgenommen. Das erste, was ich hörte, waren die alten Sirenen des Katastrophenschutzes. Danach die Signalhörner, von Polizei und Feuerwehr, Rettungsdiensten.. Ich rollte die Plane zusammen und verstaute sie im Schuppen. Was denkt ihr wenn ihr eine Sirene und danach die Fahrzeuge hört?


Ich jedenfalls ging, nicht sonderlich beeindruckt, meinen weiteren Tagesaufgaben nach. Keine 10 Minuten später, ein dumpfes Grollen! Gefolgt von vielen kleineren, peitschen artigen Knallen! Es dauerte einen Moment bis ich realisierte, dass ich gerade Schüsse vernommen hatte. Meine Neugier trieb mich auf die Straße vor das Haus. Ich sah in die Richtung aus welcher ich dachte die Schüsse vernommen zu haben. Tatsächlich. Plötzlich liefen Anwohner aus der vermeintlichen Gefahrenzone, schreiend und weinend, über die Hauptstraße unseres Ortes. Wissen sie, ich war nie der schnellste Denker vor dem lieben Gott. Als ich blutverschmierte Gestalten sah und mich an die Nachrichten erinnerte, da wurde mir klar, was hier gerade passiert! Ich sah den alten Meyer am Ende der Straße. Der beste Bäcker im Dorf, bis sein Sohn in seine Fußstapfen trat, und er in wohlverdienten Ruhestand ging. Er wurde von den panischen Menschen umgestoßen und blieb regungslos am Boden liegen.


Ich rannte ins Haus. Verriegelte die Vordertür. Riss alle Schubladen auf und versuchte so schnell es geht alles wichtige einzupacken! ,,Der große Rucksack? Gott im Himmel! Wo zum Teufel hab ich denn den Wanderrucksack?!" Gefunden! Alles an Essbarem zusammenpacken! Raus in den Hof, die Plane holen! Plötzlich wurde mir klar, dass ich mein großes hölzernes Hoftor sperrangelweit habe offen stehen lassen. Ich versuchte mich zu bremsen. Menschen liefen draußen herum. Schreie, Schüsse.. Ich schlich in den Hof. Meine Atmung flach, das Herz bis zum Hals schlagend, versuchte ich zu erspähen, ob jemand im Hof ist. Die Luft war rein. Auf Zehenspitzen schlich ich in den Schuppen. Holte Plane, ein paar Werkzeuge. Ein Schrei auf der Straße vor dem Haus zog mir durch Mark und Bein. Ich türmte auf der Stelle! Durch den Garten! Über den alten Wanderweg ins Naturschutzgebiet!


Gottseidank! dachte ich. Mir ist niemand gefolgt. ich kannte diesen Wald wie meine Westentasche. Als Kinder hatten wir hier schon kleine Lager gebaut und "Räuber und Gendarm" gespielt. Ich bin fest davon Überzeugt dass dies auch meinen Berufswunsch geprägt hat. Ich machte mich auf den Weg zu einer Lichtung, welche wir damals schon häufiger für Lager benutzt hatten, und die mir als "uneinnehmbar" erschien. Natürlich ist das, was Kinder als uneinnehmbar halten, in der Erwachsenenwelt oftmals nicht von taktischer Bedeutung, aber der Ort ist mir im Gedächtnis geblieben. Während ich einen kleinen Trampelpfad entlang ging, wurde mir bewusst dass ich mein Gewehr im Tresor vergessen hatte. Reinhart.. du bist ein Idiot. dachte ich. ,, Tja. dann musst du wohl nochmal runter.. Das musst du so oder so..".


Aber alles zu seiner Zeit. Zuerst wollte ich mal dieses Lager aufschlagen. Angekommen, begann ich sofort mit dem Abspannen der Plane. ,,Hätt' ich mal den scheiß Wetterbericht angeschaut." nuschelte ich mir, leicht böse auf mich selbst, in den Bart. Die Wolken sahen jedenfalls sehr nach Regen aus. Die Plane gespannt wollte ich mich erstmal kurz ausruhen. Während ich so da saß hoffte ich immer wieder meine Augen zu schließen und danach aufzuwachen, als wäre das alles ein schlechter Traum. Ich hörte mittlerweile weder Schüsse, noch Sirenen oder dergleichen.


Langsam begann es zu regnen. Ich schloss meine Augen und lauschte dem Regen.

Wie ich dir bereits erzählt habe: Schließ' doch mal für einen Moment deine Augen und versuche an nichts zu denken.


Im Moment zu Leben.

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